Eine Olivenernte: Verkostigung
4. Sonntag
Wir haben Glück: es regnet, weshalb wir keine Oliven ernten können. Ich habe mich nicht klar ausgedrückt. Wir haben kein Glück, weil wir heute keine Oliven ernten können, sondern weil an diesem Sonntag eine nahe gelegene Gemeinde eine Olivenöl Verkostung in einer Ölmühle organisiert hat und weil es regnet, können wir teilnehmen. Fantastisch!
Als wir ankommen warten schon mehrere Zuschauer, Zuhörer und Wissbegierige. Auf den hufeisenförmig angeordneten Tischen stehen Plastikbecher, geschälte Apfelstücke (wozu die wohl sind, fragen wir uns) und Flaschen mit Olivenöl. Das Schicksal meint es gut mit uns. Der Mann, der vor uns steht und den kleinen Kurs abhält, ist ein echter Olivenölexperte. Die Technik des Verkostens ist von Prüfer zu Prüfer unterschiedlich, aber öffentlich durch eine gesetzliche Bestimmung geregelt. Der Fachmann erklärt in groben Zügen, worum es geht.
Unsere Startposition ist nicht optimal. Vor einer Verkostung darf man kein stark duftendes Parfum, Seife oder andere Kosmetikartikel verwenden. Dies weil sie bei Beginn der Verkostung noch riechbar sind. Mindestens dreißig Minuten vorher darf nicht mehr geraucht werden und die letzte Mahlzeit muss mindestens eine Stunde zurückliegen. Schließlich soll das physiologische und psychologische Befinden zufriedenstellend sein, damit die gründliche Bewertung der Olivenöle und das abschließende Urteil nicht beeinflusst werden.
Güte und Mängel hängen von verschiedenen Faktoren ab, erklärt der Verkoster:
- geografisches Anbaugebiet
- klimatische Bedingungen
- Reife der Früchte
- Behandlung des Baums und des Bodens
- Ernteverfahren
- Ort und Dauer der Aufbewahrung der Oliven
- Dauer und Temperatur des Mahlens
- Pressverfahren
- Konservierung des Öles
- Hygiene und generelle Sauberkeit
Echte Sachverständige begutachten das Öl im Gegenlicht und schütteln den Inhalt der Flasche leicht, um seine Konsistenz zu testen. Unser Experte, der eine Gruppe Menschen vor sich hat, die außer gutem Willen nichts mitgebracht haben, beschränkt sich darauf eine kleine Menge – etwa einen Esslöffel – in die Becher zu leeren, die vor ihm aufgestellt sind. Diejenigen, die in seiner Nähe stehen, geben sie an die Anderen weiter bis die hinterste Reihe erreicht ist und alle einen Becher in der Hand halten. Nun fordert er uns auf, das Öl zu begutachten. Die Farbe – obwohl sie im Prinzip nichts über die Qualität des Öls aussagt – die Dick- bzw. Dünnflüssigkeit und den Duft. Dann sollen wir unsere Eindrücke beschreiben.
Wir folgen seinem Rat. Dann sehen wir uns an, weil wir uns über unsere Empfindungen nicht klar sind. Einige scheinen überhaupt keine zu haben, Andere sind zu schüchtern um sie ausdrücken. Wieder Andere konzentrieren sich aufs Riechen, um ihre Verlegenheit zu überspielen und hoffen, dass einer der Anwesenden vor ihnen das Wort ergreift. Schließlich gibt es noch diejenigen, die ihren ganzen Mut zusammennehmen, aber nicht die richtigen Worte finden. Wir Alle wissen nämlich nicht, dass es ein kleines Wörterbuch gibt, in dem es treffende Ausdrücke zur korrekten Beschreibung gibt.
Unser Sachverständiger spricht von „fruchtig“, „mandelartig“, „lebendig“, „pikant“, sogar von „grasig“. Wir sehen uns an: Wer hätte das gedacht?! Wir lernen, dass es Öle gibt, die einen ganz speziellen Geruch haben, der an grünes, frisch geschnittenes Gras erinnert. „Fruchtig“ drückt den Duft von frischen, einwandfreien, zum richtigen Zeitpunkt geernteten Oliven aus. Mit „mandelartig“ beschreibt man im Prinzip den Geruch von frischen Mandeln. Aber Achtung, manchmal kann sich das Urteil auch auf trockene Mandeln beziehen, deren Duft leicht mit dem von Mandeln verwechselt werden kann, die anfangen ranzig werden. „Lebendig“ riecht ein frisches Öl, das angenehme aromatische Noten verströmt die lange anhalten. Mit „pikant“ beschreibt man ein gutes, fruchtiges Öl aus neuer Ernte.
Wir sind erleichtert, denn wenn wir nicht in der Lage gewesen waren, unsere Beurteilung mit den richtigen Worten zu erklären, heißt das nicht, dass wir dumm sind sondern lediglich „unwissend“. Wir sind ja auch zum Lernen hier. Jetzt lädt der Experte uns ein, den Becher in der Handfläche zu erwärmen. So können sich die flüchtigen, aromatischen Bestandteile des Olivenöls besser entfalten. Dann zeigt er uns wie wir eine kleine Menge in den Mund schlürfen sollen. Zuerst durch langsames und leichtes, dann stärker werdendes Saugen. So wird es in der ganzen Mundhöhle zerstäubt und es entsteht ein enger Kontakt zwischen dem Öl und den Sensoren von Mund und Nase.
Jetzt rät er uns, den Mund einen kurzen Augenblick ruhen zu lassen und die Zunge langsam und leicht gegen den Gaumen zu drücken. Danach wieder ruckartig Luft ansaugen und zwar nicht durch die Nase sondern durch die halb geöffneten Lippen. Die letzten Bewegungen müssen wir mehrmals wiederholen. Das Öl muss mindestens zwanzig Sekunden im Mund bleiben, bevor wir es ausspucken. Es ist wichtig, dass wir die Zunge weiter bewegen und versuchen, den Nachgeschmack eingehend zu bewerten und uns so viele Duft- und Geschmacksnuancen wie möglich zu merken.
Jetzt bittet er uns erneut, unsere Empfindungen auszudrücken und aus der kleinen Menschenmenge, die vor ihm steht, hört man ein mutiges „frisch“, „schmeckt nach gutem Öl“ und „angenehm“ – alles Wörter, die wenig oder nichts mit den Vokabeln zu tun haben, die den Experten geläufig sind. Unser Fachmann versteht uns logischerweise nicht – wir sprechen nicht die gleiche Sprache. Allerdings lehrt er uns weitere Ausdrücke, mit Hilfe derer wir uns mit ihm verständigen können.
Es hat wenig Sinn, zu viel auf einmal lernen zu wollen und wir haben auch nicht sehr viel Zeit. Andernfalls hätte er uns z. B. auch gesagt, dass man bei Olivenölen zwischen „fruchtig süß“ und „fruchtig grün“ unterscheidet. Die beiden Kategorien hängen hauptsächlich von der Sorte oder dem cultivar ab, vom Reifegrad der Oliven und von der Anbaugegend. Nächstes Jahr haben wir sicher Gelegenheit, unser Wissen zu vertiefen.
Jetzt erklärt er uns, dass “bitter” den typischen Geschmack von Öl beschreibt, dass von grünen oder rosa-violetten Oliven stammt. Je nach Stärke wird es als mehr oder weniger angenehm empfunden. „Sauer“ ist ein Öl, das beim Probieren eine zusammenziehende Wirkung hat. „Süß“ zeigt an, dass es nicht wirklich zuckrig schmeckt, aber weder ausgesprochen bittere, noch adstringente oder pikante Eigenschaften aufweist. Nach „Artischocke“ schmeckt ein äußerst angenehmes, meist frisch gepresstes Öl.
Den Ausdruck „gefroren“ verwendet man bei Ölen, die aus Frost geschädigten Oliven gewonnen worden sind. Meist ist es sehr schwach, dünnflüssig und neigt zu einem trockenen fast hölzernen Geschmack. „Trocken“ bezieht sich auf ein Öl, das aus Oliven gewonnen worden ist, die während einer längeren Dürrezeit gereift sind. Mit „adstringent“ beschreibt man ein Öl aus Oliven, das besonders reich an Polyphenolen ist. Dies weil die Oliven bei der Ernte noch nicht die typische rosa-violette Farbe angenommen hatten. Das Öl schmeckt, als würde man in eine unreife Frucht beißen. Wenn Öl nach „Netz“ schmeckt hat es einen eigenartigen, gummiartigen Geschmack, der ins Trockene geht. Er ist darauf zurückzuführen, dass die Oliven lange auf den unter den Bäumen ausgelegten Netzen gelegen haben.
Dann spricht er über Geschmacksnoten, die er mit „weinartig-essigsauer“, „schimmelig-modrig“, „überhitzt“, „korbartig“, „metallig“, „ranzig“ und „schlammig“ beschreibt. Uns dreht sich der Kopf, und obwohl wir uns völlig auf das, was der Experte uns erklärt konzentrieren, ist es uns unmöglich, Alles zu behalten. Was wir gelernt haben, scheint uns allerdings äußerst nützlich.
Wir fahren mit der Verkostung der verschiedenen Öle fort. Zwischen den Proben essen wir Apfelstücke, denn sie neutralisieren den Geschmack im Mund und gestattet uns, weitere Öle geschmacklich zu testen. (Jetzt wissen wir auch, wozu sie dienen). Unser Experte fragt bei jeder Probe nach unseren Eindrücken. Er meint es allerdings gut mit uns, denn fast immer legt er uns die richtigen Worte in den Mund. Jedes Mal, wenn er unparteiisch schweigt, zeigt sich allerdings, dass wir blutige Anfänger sind. Andererseits ist es nicht einfach, mit den verschiedenen Qualitäten und den Terminologien der Sachverständigen vertraut zu werden. Das Probieren will gelernt sein und braucht viel Zeit und Geduld.
Am Ende der Lektion sind wir mehr als zufrieden. Wir wissen mehr als vorher und fühlen uns – ein bisschen – wie echte Kenner.
(Titelbild: Vivere e lavorare in campagna, Edizioni del Baldo, Verona 2015)
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