Der Küstensee von Massaciuccoli
Mitte Februar schlug uns Stefano Pucci, unser Bergführer, nach so vielen Wanderungen fast ein Freund, einen Ausflug entlang des Küstensees von Massaciuccoli vor. Es handelte sich um eine etwa fünfstündigen Tour mit einem Höhenunterschied von zehn Metern. Zehn Meter? Kein Problem. Sofort. Und hier bin ich in Massarosa mit den anderen Teilnehmern, bereit die geplanten, überhaupt nicht anstrengenden zwölf Kilometer in Angriff zu nehmen.
Komisch, aber ich hatte irgendwie das Gefühl als ob Stefano uns nur langsam aus dem Winterschlaf holen wollte. Mir war aber auch klar, dass er uns spätestens ab März/April mit seinem entschlossenen, für manche doch ziemlich schnellen Schritt wieder auf die Berggipfel der Apuanischen Alpen hinauftreiben würde. Im Moment lässt mich nur der bloße Gedanke daran schon erschauern.
Februar ist ein seltsamer Monat, nicht mehr ganz Winter, noch nicht Frühling. Von ein paar schüchternen Blümchen abgesehen trägt das ganze Pflanzenreich um uns herum immer noch die Farbe braun in allen ihren Schattierungen.
Ich komme nicht darum herum zuzugeben, dass es uns nicht leicht fiel, eine gewisse Verwahrlosung zu ignorieren, mit der wir nicht gerechnet hatten. Verfallene Fabrikgebäude, Müll, verlassene Felder. Künstliche Seeufer, die ausgebessert werden würden, wenn man dem vor langer Zeit aufgestellten Schild glauben schenken darf. Fischerhäuschen zum Angeln am See von Karpfen, Welsen oder Alen, die das dunkle Wasser schon fast völlig verschluckt hat. Tröstlich zu wissen, dass verschiedene Institutionen versuchen zu verstehen, wie man diese an sich wunderschöne Gegend sanieren könnte.
Es waren diese viele halbversunkenen Angelhütten, die früher zum Unterhalt vieler Familien beigetragen haben. Zusätzliche Nahrung in Form von frischem Fisch war höchstwillkommen und keinesfalls zu unterschätzen. Später benützten die Hütten dann Hobbyfischer, die so die eine oder andere Stunde entspannt und in vollen Zügen im Freien genießen konnten. Mit Anglerglück, Geduld und Petri Heil gab es dann direkt am Ort zubereiteten Fisch zum Mittag- oder Abendessen. Frischer geht es wirklich nicht.
Im Laufe der Jahre haben sich die Wasserverhältnisse immer mehr verschlechtert, weshalb die Anzahl der Fische immer weniger wurde. Diese Realität und ein modernerer Lebensstil haben dazu geführt, dass die Fischerhütten mit der Zeit aufgegeben worden sind.
See- ist anscheinend nicht so anregend wie Meerwasser. Es soll eine eher beruhigende Wirkung haben und Angst und Sorgen vertreiben. Ich bin mir da nicht so sicher. Aber der Tag war schön klar und lauwarm, überhaupt nicht kalt. Am Ende hat uns dann das stundenlange Laufen am Seeufer entlang, dessen Wasser das Sonnenlicht reflektierte, aber doch in einen Zustand völliger Entspannung versetzt. Sehr, sehr angenehm.
Ich kann gut verstehen, warum sich der Opernkomponist Giacomo Puccini (Tosca, Madame Butterly, Turandot) in dieses Fleckchen Erde verliebt hat. Auf der anderen Seite, in Torre del Lago, ließ er eine elegante Villa bauen, die auch heute noch in ihrer ganzen Schönheit besichtigt werden kann. Hier hat er wohl den nötigen inneren Frieden gefunden, um seine Opern zu komponieren. Seine allseits bekannte Leidenschaft für die Jagd dürfte ihn allerdings des Öfteren abgelenkt haben. Nur ein paar Meter entfernt errichtete man dann später das wichtigste Freilufttheater der Toskana. Den ganzen Sommer über werden dort seine Opern auf die Bühne gebracht.
Am östlichen Ufer des Sees befindet sich die Vogelschutz Oase LIPU (Lega Italiana Protezione Uccelli), von wo aus man eine große Anzahl von Vögeln beobachten kann. Die langen Gehwege auf Holzpfählen inmitten von Schilfrohr führen zu kleinen Holzhütten, die einen unglaublichen Blick auf die Wasseroberfläche und die Fauna freigeben. Vor allem wenn der Abend dämmert, die meisten Vögel schlafen gehen und die untergehende Sonne alles golden glitzern lässt, ist der See unglaublich schön. Vor ein paar Jahren habe ich dieses zauberhafte Schauspiel miterleben dürfen. Glücklich die Menschen, die hier leben.
Eine zeitlang bin ich oft hierher gekommen und mit dem Ruderboot oder kanadischen Kanu auf den See gefahren. Einmal sogar mit einem Tretboot. Mir fehlt nur noch eine Tour auf einem großen Ausflugsboot, die schon geplant ist. Es war ein ganz spezielles Gefühl die langen Kanäle entlangzufahren und die schwimmenden Vögel zu beobachten, die sich eilig im Schilf versteckten, sobald sie mich näher kommen sahen. Mehr als alles andere jedoch wollte ich versuchen, die Atmosphäre des Sees mit der Kamera einzufangen. Leider muss ich zugeben, dass mich schon damals die Farbe des Wassers, die geringe Tiefe und der Schlamm sehr beunruhigend haben.
Die ganze Zeit über erzählte uns Stefano Interessantes über den See, die Fauna und die Flora. Er zeigte uns auch wo wilder Knoblauch, Mangold, Borretsch und Löwenzahn wuchsen, mit denen sich leckere Saucen oder Omelettes zubereiten lassen. Natürlich hätten wir alle gerne das eine oder andere Gericht probiert. Ein Wunsch, der reale Möglichkeiten hat verwirklicht zu werden. Stefano lädt nämlich drei, viermal im Jahr zu sich nach Hause ein, wo er streng vegane Gerichte serviert deren Zutaten von Wald, Wiese und seinem Garten stammen.
Es ist schon richtig, zwölf Kilometer in fünf Stunden bei einem Höhenunterschied von zehn Metern sind ein Kinderspiel. Als dann aber einer von uns gegen Nachmittag in der Ferne unsere geparkten Autos sah, ging doch ein Seufzer der Erleichterung durch die ganze Gruppe.
Ein schön interessanter aber auch lehrreicher und doch entspannender Tag. Danke Stefano. Bis zum nächsten Mal.
ulrike
Es scheint ein verschlafenes Fleckchen Erde zu sein … Deine Erzählung macht mich neugierig .. vielleicht besuche ich den See auch mal .. von der Wasserseite aus. Wie auf Deinen Bildern könnte ich dann das Ufer an mir vorbeiziehen lassen .. und Verstecktes entdecken .. danke für die Erstellung Deines Berichts
Agnese
Da gäbe es dann ja die „Albatros“. Das Schiff organisiert Touren, die etwa zwei Stunden dauern. Manchmal kann man auch den Sonnenuntergang auf dem See bewundern und dabei einen Aperitivo genießen.
Ruth Recher
Traumhaft, danke für den Bericht und die schönen lebendigen Fotos. Wunderschöne Gegend, lädt zum träumen ein
Agnese
Es ist schon ein schöner Ort mit einer ganz besonderen Atmosphäre.