Ein Olivenernte: Mediterrane Diät
6. Sonntag
Wir bekommen Verstärkung. Gott sei Dank, denn irgendwann fange ich an daran zu zweifeln, dass die Ernte je zu einem Ende kommt. Es melden sich junge, starke, ungeduldige Hände, die noch nicht über eine richtige Technik verfügen – ich gehöre nicht mehr zu dieser Kategorie – und ältere, erfahrene, die wissen, wie man die Oliven am besten erntet. Letztere kennen alle Tricks die das Ernten erleichtern und ihre Anwesenheit ist beruhigend und ermutigend. Niemand beschwert sich über Rückenschmerzen, niemandem ist kalt oder heiß, hat Hunger oder Durst.
Es wird geerntet, als ob es auf der Welt nichts anderes gäbe, was von Wichtigkeit wäre. Zumindest für acht Sonntage, ist es ja wirklich so. Ich bin in einer Welt die ich nicht kenne und lasse mich treiben. Ab und zu wehen Wörter und Sätze an mir vorbei. Dieses Jahr hat es besonders viel Oliven. Der früheste Termine in der Ölmühle ist um elf Uhr abends, vorher ist kein Platz frei. Die Tochter des Nachbarn hat geheiratet. Der Sohn eines Bekannten hat sich von seiner Frau getrennt. „Schade“ sagt jemand, „sie kannten sich von klein auf“, eine andere Stimme fügt hinzu „vielleicht haben sie sich gerade deshalb getrennt“. Von irgendwo kommt „wer hätte das gedacht?“
Ich bin sehr schnell geworden und ernte mit beiden Händen gleichzeitig. Diese Technik erlaubt es mir meine Aufgabe relativ schnell zu erledigen. So habe ich Zeit, mit den anderen die Oliven von den abgesägten Zweigen zu zupfen. Plötzlich wird mir bewusst, dass diese Arbeit sowohl von Frauen als auch von Männern erledigt wird. Ich nehme an, dass sie sich auf der hauchdünnen Linie der Tätigkeiten befindet, die ein Mann verrichten kann, ohne dabei seinen guten Ruf zu verlieren. Auf meine Frage, warum sie die Olivenbäume beschneiden und ziemlich nieder halten, erklären sie mir, dass sie so nicht zu groß werden, was das Ernten erleichtert.
Nachdem auch der letzte Ast von den Oliven befreit ist, ziehen wir die Netze zusammen, um die kleinen Früchte in der Mitte anzuhäufen. Unter ihnen befinden sich allerdings leider auch kleine Zweige und eine große Menge Blätter. Ehrlich gesagt sieht es fast so aus als bestünde der Haufen nur aus Blättern und nicht aus Oliven. Das Aussortieren braucht deshalb unendlich viel Geduld. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, eine Position zu finden, die so bequem wie möglich ist. Wenn ich mich zusammengekauert hinsetze, entlaste ich den Rücken aber mir tun die Knie weh. Wenn ich hinknie, wird meine Rücken steif. Mir bleibt nur eine Technik die, klug und abwechselnd angewandt, akzeptabel ist. Eine Zeitlang verlese ich die Blätter zusammengekauert sitzend, wobei ich ein Bein seitlich ausstrecke. Dann knie ich mich hin und zwar sowohl auf beide Knie gleichzeitig als auch zuerst auf das eine, dann auf das andere. Am Ende kauere ich mich auf beide Knie. Es mag sein, dass meine Beschreibung übertrieben detailliert scheint, aber man kann nie wissen, was das Leben beschert. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich mich je in einem Olivenhain in der Toskana wiederfinden würde und Olivenblätter von Oliven auszusortieren.
Ich weiß nicht warum, aber die Männer wollen immer noch nicht, dass ich auf einen Olivenbaum klettere, um von dort oben an der Ernte teilzunehmen. Es sieht so aus, als ob auch das Ausbreiten der Netze irgendwelche Geheimnisse verbirgt, die ich nicht wissen darf. Deshalb beschränke ich mich darauf, ihnen Stangen, oder Werkzeug wie Säge, Seile, manchmal ein Messer, um das sie mich bitten, zu bringen.
Wer an der Ernte teilnimmt, hat ein Recht auf ein Mittagessen, und dies ist ein äußerst angenehmer Moment des Tages. Ich bin nicht daran gewöhnt, dass jemand für mich kocht und weiß es ganz besonders zu schätzen, mich an einen gedeckten Tisch setzen zu können, auf dem sich eine große Auswahl Essen befindet. Auch das Tischabdecken, Geschirr spülen und Herd sauber machen gehört nicht zu meinen Aufgaben. Ich bin einzig zum Oliven sammeln angeheuert worden.
Wir schneiden natürlich das Thema „Olivenöl in der Küche“ an. Mir ist seine großzügige Verwendung auf Salaten, gekochtem Gemüse, Fleisch, Fisch, Saucen und Ragouts aufgefallen. Ganz zu schweigen von den Brotscheiben, die jeden Sonntag über dem Kaminfeuer geröstet und dann mit reichlich Olivenöl begossen, zu Tisch gebracht werden. Die Hausherrin erklärt mir, dass sie das vom letzten Jahr übrig gebliebene Öl zum Kochen verwendet und das neue zum Anmachen. Sie verfügt über so viel erstklassiges, natives Olivenöl extra, dass sie sogar damit frittieren kann. Wir sind uns alle darüber einig, dass diese Kochweise zwar nicht sehr gesundheitszuträglich ist, aber fantastisch schmeckt und dass Olivenöl Ausgebratenem eine ganz besondere Note gibt.
„Dem Olivenöl steht auch ein wichtiger Platz in der mediterranen Diät zu“. Es ist eine der Töchter der Hausherrin, Pharmaziestudentin, die uns diese Tatsache in Erinnerung ruft. Auf ihre direkten Fragen was wir darüber denken, antworten alle ausweichend. Obwohl wir den Begriff kennen, haben doch die meisten nur eine vage Vorstellung und wissen nicht genau, worum es sich eigentlich handelt. Deshalb bitten wir sie, ihr detailliertes Wissen mit uns zu teilen.
„Der amerikanische Professor Ancel Keys kam im Februar 1952s mit seiner Frau und einem mit Laborinstrumenten voll bepackten Auto nach Neapel. Er wollte dort Material für eine Ernährungsstudie sammeln, die er mit den amerikanischen Daten vergleichen wollte. Es ging um die Frage, ob und inwieweit eine bestimmte Ernährungsweise für koronare Herzkrankheiten verantwortlich gemacht werden kann. Bereits nach wenigen Monaten stellte sich heraus, dass der Durchschnittsneapolitaner, dessen Diät reich an Olivenöl (ungesättigte Fettsäuren) und arm an tierischen Fetten war, kaum an koronaren Herzkrankheiten litt. Bei den reichen Mitbürgern, deren Nahrung aus viel tierischem Fett (mehrfach gesättigte Fettsäuren) bestand, stellte er eine verhältnismäßig hohe Zahl an Herzinfarkten fest.
Aus seiner Arbeit ging außerdem hervor, dass die Herzinfarkthäufigkeit mit der Höhe des Cholesterinspiegels verknüpft ist. In den südeuropäischen Ländern wie Italien, Spanien, und Griechenland war er geringer als in den mittel- und nordeuropäischen Ländern und den USA. Diese beiden Ergebnisse bildeten die Grundlage für die sogenannte Sieben-Länder-Studie. Tausende, zu Beginn der Untersuchung gesunde Männer zwischen vierzig und neunundfünfzig Jahren, aus sieben Ländern und drei Kontinenten – Finnland, Japan, Griechenland, Italien, Holland, USA und ex Jugoslawien – wurden jahrelang beobachtet, um die Häufigkeit der koronaren Herzkrankheit und ihrer Komplikationen in den verschiedenen Ländern zu untersuchen. Die moderne Wissenschaft wollte vorhandene Risikofaktoren wie Cholesterinspiegel, Bluthochdruck, Rauch- und Essgewohnheiten vergleichen. Die Studie ergab unter Anderem, dass die mediterrane Diät sich ideal zur Vorbeugung koronarer Herzkrankheiten eignet.
Erstaunlich positive Ergebnisse wurden durch die traditionelle Ernährung auf Kreta nachgewiesen. Es zeigte sich, dass trotz des hohen Anteils von Olivenöl in der täglichen Diät – fast vierzig Prozent der Gesamtkalorien – sowohl die Gesamtsterblichkeit als auch die Todesfälle durch koronare Herzkrankheiten noch niedriger waren, als in den anderen Mittelmeerländern, die regelmäßig aber in geringeren Mengen Olivenöl verwendeten. Die Sterblichkeit in Finnland, Amerika und Holland, wo die Bevölkerung überwiegend Fett mit viel gesättigten Fettsäuren verwendete, wies besonders hohe Werte auf. Interessant war auch, dass der Cholesterinspiegel der kretischen Teilnehmer sich kaum von dem der übrigen Teilnehmer der Mittelmeerländer unterschied.
Was die Kreter gegessen haben? Typische, mediterrane Kost. Wenig Fleisch und Milchprodukte, dafür Fisch, Gemüse, Getreide, Obst, mäßig Rotwein. Heute weiß man, dass Olivenöl nicht nur das Herzinfarktrisiko entscheidend verringert, sondern auch, dass es zur Vorbeugung von Krankheiten des Verdauungsapparates, der Arteriosklerose sowie verschiedenen Krebsformen dient. Man hat außerdem festgestellt, dass Italiener und Griechen durchschnittlich länger leben als Holländer und Finnländer.
Diese Nachricht weckt in mir gemischte Gefühle. Auch ich komme aus einem Land das reichlich gesättigte Fettsäuren liebt. Beim Gedanken an eine Scheibe frisch geröstetes, noch warmes Brot, mit Schweineschmalz bestrichen und leicht mit Salz bestreut, wird mir noch heute ganz schwach. Andererseits bin ich vernünftiger geworden und habe gelernt, diesen und ähnlichen Gaumenkitzeln zu widerstehen. Nach allem, was ich in der Zwischenzeit über Olivenöl gelernt habe, bin ich heilfroh, dass ich meine Ernährungsweise schon vor vielen Jahren umgestellt habe.
Das Argument ist mit dieser Ausführung über Olivenöl natürlich noch lange nicht erschöpft. Jjemand schneidet das Thema Oliven zum Kochen an. Wir sprechen von Antipasti, Nudeln, Reis, Saucen, Hauptgängen und Beilagen, die durch eine Handvoll Oliven eine besondere Note bekommen. Einige regionale Gerichte könnten sich gar nicht „Spezialität“ nennen, wenn sie fehlen würden. Jeder hat seine Lieblingsolive, aber wir sind uns fast alle darin einig, dass die traditionell im Ofen getrockneten, voll reifen, schwarzen Oliven, die hier normalerweise für „Kaninchen auf Jägerart“ verwendet werden, nicht besonders gut sind. Sie sind zu bitter und schmecken doch gleichzeitig fad. Grossen Erfolg haben dagegen die „Einheimischen“, nostraline genannt. Kleine, pralle, wohlschmeckende, in Salzlake eingelegte toskanische Oliven, die hier sowohl zum Kochen als auch zu den Antipasti gereicht werden.
Wer glücklicher Besitzer eines Olivenhains ist, stellt gewöhnlich nicht nur sein Öl selbst her, sondern auch die Oliven für den eigenen Verzehr. Es hat mich deshalb überrascht, dass unsere Gastgeberin, die seit Jahrzehnten mit Olivenöl kocht, schmort, brät, frittiert und anmacht, noch nie Oliven in Salzlake eingelegt hat. Das Ergebnis ihrer Versuche, erzählt sie, seien muffige, ungenießbare Oliven gewesen. Meiner Herkunft getreu wäre ich jederzeit in der Lage gewesen, alles Wissenswerte über Butter oder Schmalz zu erzählen, aber nichts über Oliven. Da ich jedoch an Allem interessiert bin, was ich nicht kenne, habe ich mich – wenn auch nur theoretisch – schon länger mit dem Einlegen von Oliven befasst. Die Leute, die mir am Geeignetsten schienen, um Tipps, Kniffe und Geheimnisse, was die Konservierung der kleinen Früchte anbetrifft in Erfahrung zu bringen, waren Köche, Feinschmecker, Großmütter, Landfrauen und Bäuerinnen. Sie haben mir Rezepte verraten, die nicht in Kochbüchern stehen, oft arbeitsaufwändig sind, aber fantastisch schmecken. So gebe ich ihr Wissen an sie weiter.
„Du brauchst noch grüne, einwandfreie, feste, möglichst fleischige Oliven. Eventuelle Blätter müssen sorgfältig entfernt werden, weil sie bitter sind und die Zubereitung verderben könnten. Gib die Oliven in ein gut schließbares Gefäß und bedecke sie mit Wasser. Du musst es täglich wechseln und dient dazu, die Oliven zu entbittern. In der Regel dauert diese Operation etwa vierzig Tage, aber jeder hat seinen eigenen Geschmack. Deshalb ist es ratsam, nach etwa dreißig Tagen eine Olive zu probieren. Wenn sie zu bitter schmeckt, wechsle das Wasser noch eine weitere Woche täglich und probiere dann nochmals. Mache so lange weiter, bis sie für dich „süß“ genug sind. Ich habe meine einmal fast drei Monate lange im Wasser gelassen. Nach so langer Zeit waren natürlich viele zu weich geworden und ich musste sie wegwerfen.
Sie hatten allerdings Ihr Bitteres praktisch völlig verloren und haben sehr delikat geschmeckt.
Jetzt stelle einen Topf mit Wasser und Salz aufs Feuer und bringe es zum Kochen – beginne mit sechzig Gramm Salz auf einen Liter Wasser. Es gibt Leute, die achtzig oder neunzig Gramm dazugeben; auch hier kommt es auf den persönlichen Geschmack an. Weniger als sechzig Gramm sollten es auf keinen Fall sein, weil das Salz auch als Konservierungsmittel dient. Die Wassermenge hängt davon ab, wie viele Oliven eingemacht werden. Es muss allerdings so viel sein, dass die Oliven später völlig mit ihm bedeckt werden können. Wenn es sprudelnd kocht, die Flamme klein stellen und so lange umrühren, bis das Salz sich völlig aufgelöst hat. Jetzt die Salzlake probieren. Wenn sie dir nicht kräftig genug schmeckt, beginne damit, fünf Gramm Salz pro Liter hinzuzufügen. Rrhre sorgfältig um, koste wieder und mische eventuell nochmals die gleiche Menge Salz unter. Sei vorsichtig und denke daran, dass du es dazugeben aber nicht mehr wegnehmen kannst. Wenn die Lake so ist wie du sie möchtest, kannst du nach deinem Geschmack Gewürze und Aromen dazugeben.
Viele verwenden die klassische Mischung aus Nelken, Zimtstangen und Lorbeer. Du kannst aber auch mit Kräutern experimentieren, oder aber mit Orangen- oder Zitronenschale, Fenchelsamen, scharfen Pfefferschoten, Knoblauch und Pfefferkörner. Deiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Lasse die Zutaten einige Minuten im Salzwasser kochen und die Zubereitung dann abkühlen. Gib’ die Oliven in die vorbereiteten Behälter und übergieße sie mit der abgekühlten Salzlake. Die Oliven müssen völlig mit der Flüssigkeit bedeckt sein. Schließe die Behälter und lasse sie an einem kühlen und dunklen Ort, im Keller oder der Vorratskammer – nicht im Kühlschrank – etwa einen Monat ziehen.
Nach einer Woche kontrolliere, ob die Oliven noch mit Salzlake bedeckt sind, wenn nicht, gieße die nötige Menge nach. Nach weiteren zwei bis drei Wochen wirst du wahrscheinlich anfangen sie zu essen. Nur ganz Wenige bringen es fertig einen ganzen Monat zu warten. Ich rate dir, die Wasser/Salz Proportion und die genaue Menge der Gewürze, für die du dich entschieden hast, aufzuschreiben. Verlasse dich nicht auf dein gutes Gedächtnis, sonst ist es wahrscheinlich, dass du im kommenden Jahr wieder von vorne anfangen musst.“
Außer dieser klassischen Zubereitung in Salzlake kann man die Oliven auch in Öl, Essig oder Salz haltbar machen, im Ofen trocknen oder gefüllt, paniert und mariniert zubereiten und wir tauschen noch einige Rezepte aus. In der Zwischenzeit ist mir auch klar geworden, warum mir die schwarzen, bitteren, faden Oliven nicht schmecken. Sie werden am Ende der Ernte gepflückt, wenn sie völlig ausgereift sind und anfangen, am Baum zu dörren und ihr Bitteres fast völlig verloren haben. Sie werden dann zuerst an der Luft ausgebreitet und dann im mäßig warmen Ofen ganz getrocknet. Zur weiteren Konservierung gibt man sie in gut schließbare Behälter, wobei man eine Schicht Oliven mit einer Schicht Salz abwechselt.
Heute waren wir sehr produktiv: der Tag endet mit einer Erntebilanz von zweieinhalb Zentnern!
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