Eine Olivenernte: Ölsorten
3. Sonntag
Die Leute die heute Oliven ernten, sind die gleichen wie letzten Sonntag. Der Jüngste ist fünf, die Älteste ist mehr als siebzig Jahre alt. Jeder hat sein Arbeitsgebiet. Ich gelte immer noch als Neuling und muss mich weiterhin mit der Arbeit begnügen, die allgemein als die Niedrigste angesehen wird. Das verraten mir meine Kollegen allerdings erst am Ende des Abenteuers.
Mir war schon vorher aufgefallen, dass die Ernte in Männer- und Frauenarbeiten aufgeteilt ist. Auf gar keinen Fall würde ein Mann kniend Oliven einsammeln und nie würde eine Frau auf eine Leiter steigen und sie von den Zweigen pflücken. Meine rebellische Natur regt sich sofort: ich kann diese Diskriminierung natürlich nicht akzeptieren! Einige herausfordernde Bemerkungen meinerseits werden jedoch von den Männern geflissentlich überhört. Ihre Überlegenheit, wenigstens was die Arbeit im Olivenhain anbetrifft, steht nicht zur Diskussion. Allerdings scheint es mir. dass auch die Frauen nicht daran interessiert sind, dem Thema weiter nachzugehen.
Mir wird klar, dass es zwar Unterschiede in der Arbeitsteilung gibt, aber auch, dass jeder der Anwesenden die Aufgabe des Anderen respektiert. Ohne die Zusammenarbeit aller Teilnehmer wäre es unmöglich, die Ernte erfolgreich zu beenden. Ich kann indes nicht leugnen, dass langsam in mir der feste Entschluss reift, auch auf einen Olivenbaum zu klettern. Genau so wie die Männer will auch ich die Oliven direkt von dort oben von den Ästen pflücken und in die aufgespannten Netze fallen lassen.
„Vom Boden lesen“, dies ist die korrekte Bezeichnung für meine Ernteweise, will entgegen dem, was man annehmen könnte, gekonnt sein. Es bedarf nämlich einer besonderen Technik, denn man darf nicht einfach alle Oliven aufheben. Die vom Vorjahr zum Beispiel sind ungeeignet genau so wie die wurmstichigen, schmutzigen oder die vor Feuchtigkeit aufgequollenen. Es geht darum, diejenigen auszuwählen, die noch nicht lange vom Baum gefallen sind und sich beim Anfassen einigermaßen fest anfühlen.
Der Kopf muss schon dabei sein und mir bleibt nichts anderes übrig als gut aufzupassen. Man muss bedenken, dass es Jahrhunderte lang als unverzeihliche Verschwendung galt, Oliven einfach am Boden verfaulen zu lassen. Viele Selbstversorger, unter ihnen der Besitzer des „Feldes“, denken auch heute noch so. Catone (234-149 v.C.), selbst ein gewissenhafter Grundbesitzer, dessen Sparsamkeit fast an Geiz grenzte, empfahl in seinem Werk De Agricoltura, nicht eine einzige Olive am Boden verfaulen zu lassen. Die Schlechtesten wären immer noch als Nahrungsmittel für die Sklaven brauchbar gewesen.
Nach kurzem Überbacken im mäßig warmen Ofen, was dazu diente die Oliven zu trocknen und eventuelle Larven zu töten, wurden sie mit etwas Öl beträufelt, mit Salz bestreut und in einen Tonkrug geschüttet. Dann übergoss man sie mit Olivenölbodensatz bis sie völlig bedeckt waren. Die so zubereiteten Oliven, mit reichlich Knoblauch und einigen Pfefferkörnern angemacht, stellten eine ausgezeichnete und schmackhafte Zukost dar. Das galt vor allem für diejenigen, die großen Hunger hatten und sich nicht über die Qualität des Essens, das ihnen vorgesetzt wurde, beschweren konnten.
Es gibt natürlich noch andere Sammeltechniken. Bei der „Ernte von Hand“ erreicht man die Äste mit Hilfe von Leitern. Damit die Oliven so wenig wie möglich beschädigt werden, verstaut man sie direkt in um die Hüfte gebundene Körbe. Manche bevorzugen es sie direkt auf die unter den Bäumen ausgebreiteten Netze fallen zu lassen. Dies ist die beste, aber auch teuerste Erntemethode.
Dann gibt es das „Kämmen“: man fährt mit einem hölzernen Rechen zwischen die Zweige, „kämmt“ die Oliven ab und lässt sie auf die Netze fallen. Auch diese Methode beschädigt die Früchte kaum, allerdings werden mit den guten Oliven auch die Schlechten sowie eine große Menge Blätter mitgeerntet.
Bei der „Schüttelmethode“ werden die Zweige von Hand geschüttelt, wobei die Oliven in die ausgebreiteten Netze fallen. bei dieser Arbeitsweise werden nur die völlig ausgereiften Oliven geerntet. Die anderen bleiben am Baum hängen, was eine Nachlese erforderlich macht. Beim „Abschlagen“ schlägt man mit Bambusstangen auf die Zweige. Die Oliven fallen direkt in die Netze aber die Zweige werden ziemlich oft verletzt.
Automatisch betriebene Schüttelmaschinen und Sauger kommen bei „maschinell geernteten“ Oliven zum Einsatz. Die Methode ist äußert kostensparend da die Maschinen aber sehr groß sind, können sie nur auf ebenem Gelände eingesetzt werden. Unglücklicherweise befindet sich etwa neunzig Prozent der toskanischen Olivenhaine auf ziemlich steilen Hügeln weshalb diese Methode nur selten eingesetzt wird.
Am Ende des Tages spüre ich meinen Rücken nicht mehr. Die Knie fühlen sich wie eine einzige, schmerzende Wunde an und mir ist kalt. Füße und Hände sind gefroren. Trotzdem bin ich mit dem zufrieden, was wir heute gemeinsam geerntet haben. Die aufgestapelten Kisten mit rund zweihundert Kilogramm sorgfältig verlesener Oliven sind kein Traum – ich kann sie anfassen!
Als ich diese Woche einkaufen ging, fiel mein Blick auf nicht enden wollende Regale mit Öl – natürlich auch Olivenöl. Ich beschloss deshalb, mir die Flaschen genauer anzusehen.
Wie war das noch? Richtig, es gibt drei Sorten: natives Olivenöl extra, Olivenöl und Oliventresteröl. Es regen sich Zweifel in mir: ist es möglich, dass ich das Ganze zu sehr vereinfacht habe? Zu Hause angekommen, bat ich meinen Nachbarn, einen wahren Experten auf dem Gebiet, mir die Unterschiede zwischen den Ölqualitäten zu erklären.
„Also, nach aktuell geltendem Gesetz werden die Olivenöle, die in Supermärkten und Lebensmittelgeschäften angeboten werden, unter Berücksichtigung der Produktionsweise und bestimmter qualitativer Merkmale, allen voran der Gehalt an freier Fettsäure pro hundert Gramm Öl, wie folgt unterteilt:
Natives Olivenöl extra, das italienische Olio extravergine di oliva, wird durch einfaches Pressen der Oliven gewonnen. Es ist das qualitativ beste Öl und darf höchstens 1% Fettsäure enthalten. Je geringer der Fettsäueranteil, desto besser und wertvoller das Öl.
Olivenöl, das italienische Olio di oliva, wird aus raffiniertem und nativem Olivenöl gemischt und darf 1,5 % Fettsäure nicht überschreiten. Da natives Olivenöl eben gemischt und raffiniert ist, gilt es nach italienischem Gesetz nicht als „landwirtschaftliches“, sondern als „industrielles“ Produkt. Es ist deshalb streng verboten auf den Etiketten dieser Qualität Oliven abzubilden.
Oliventresteröl, das italienische Olio di sansa di oliva, wird aus einer Mischung von raffiniertem Oliventresteröl und nativem Olivenöl gemischt. Auch bei dieser Qualität muss der Fettsäureanteil unter 1,5 % liegen.“
„Kann man sich in diesem Dschungel von Tresteröl, Olivenöl, nativem Olivenöl extra, raffiniertem Öl und Fettsäure nicht leicht verlieren?“
„Das kann man in der Tat! Der einzige Weg aus ihm herauszukommen ist, einen Hersteller zu finden, auf dessen Ehrlichkeit man sich verlassen kann. Auch das sorgfältige Lesen des Etiketts auf der Flasche ist von entscheidender Bedeutung. Es gibt nämlich detaillierte Auskünfte über die Qualität des Öles und seinen Hersteller. Je vollständiger das Warenschild ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Produzent zuverlässig und sein Öl qualitativ gut ist. Habe ich Ihre Frage eingehend genug beantwortet?“ fragt er mich lächelnd.
„Noch nicht ganz. Könnten Sie mir noch kurz erklären, was genau auf den Etiketten stehen muss?
„Nun, als Erstes um was für eine Sorte Öl es sich handelt. Dann das Ursprungsland, die genaue Mengenangabe sowie Abfüll- und Verfalldatum. Name und Anschrift des Produzenten dürfen natürlich auch nicht fehlen. Suchen Sie außerdem nach Qualitätszeichen wie natives Olivenöl „extra“, „DOP“, „IGP“ oder „aus biologischem Anbau“. Sie sind Garanten für hochwertiges Öl, dass unter Berücksichtigung folgender Punkte hergestellt worden ist:
- Erntebeginn, wenn die Steinfrüchte anfangen, sich rosa-violett zu verfärben
- Möglichst kurzes Liegenlassen der Oliven auf den Netzen
- Aufbewahrung der Oliven in gut belüfteten Behältern, wobei die Menge pro Behälter zehn cm nicht überschreiten darf
- Schnellstmöglichste Weiterverarbeitung, auf jeden Fall in weniger als acht Stunden
- Ständiges Wechseln des Wassers, in dem die Oliven gewaschen werden
- Sorgfältige Kontrolle, dass die Arbeitsgeräte gereinigt worden sind
- Vermeidung der Überhitzung der Olivenmasse während der Verarbeitung
- Aufbewahrung des gewonnenen Öls in geeigneten Behältern
- Mehrmaliges Umfüllen des Öls, um so eventuelle Rückstände zu entfernen
- Licht- und Wärme geschützte Aufbewahrung des Öls
„Und wie steht es mit „nativem Olivenöl extra aus biologischem Anbau?“
„Bei Olivenöl, das die Bezeichnung „Produkt aus biologischem Anbau“ trägt, müssen alle, an der Herstellung beteiligten Personen und Produktionsstätten, d.h. Olivenbauer, Ölmühle, Abfüller und Händler, an das Kontrollsystem einer staatlich anerkannten Behörde angeschlossen sein. Der gesamte Produktionsprozess, sowie der Transport der Waren oder der Rohstoffe, die für die Herstellung notwendig sind, sind eigens in einem öffentlich einsehbaren Register aufgezeichnet.
Nur wenn dem Endverbraucher klar ist, mit wie viel Arbeit die Herstellung des Öls verbunden ist, kann er seinen wirklichen Wert verstehen. Die meisten Kontrollen dienen deshalb nicht nur dazu, Betrug oder unlauteren Wettbewerb zu verhindern, sondern vor allem der Bildung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Hersteller und Verbraucher. Hauptziel des biologischen Anbaus ist ein gesundes, qualitativ hochwertiges Öl, das in keiner Produktionsphase mit Pestiziden und Kunstdüngern in Berührung gekommen ist.
Die Ungezieferbekämpfung erfolgt mit Präparaten und Techniken, die keinen schädlichen Einfluss auf die Umwelt ausüben. Der Anbau muss energiesparend und umweltfreundlich sein wobei der Nutzung erneuerbarer Energien der Vorzug gegeben werden muss. Das Öl selbst unterliegt strengen, gesetzlich festgelegten Kontrollen, die die Einhaltung der Produktionsvorschriften überprüfen. Olivenöl aus biologischem Anbau trägt das Logo der Europäischen Gemeinschaft und kann damit als solches identifiziert werden“.
„Was bedeutet dies praktisch?“
„Wenn der Besitzer „des Feldes“ auf dem ihr die Oliven erntet, mit dem Gedanken spielen sollte, seinen Olivenhain in biologisch bebaubares Land umzuwandeln, würde er eine große Verantwortung übernehmen. Er müsste den Olivenhain und die Olivenbäume optimal pflegen und die Bodenqualität verbessern. Ferner würde man von ihm erwarten dass er in der Lage ist, den Einsatz von natürlichen Düngemitteln und Schädlingsbekämpfungsmitteln gewissenhaft abzuwägen. Schließlich müsste er garantieren, dass die Olivenernte nach den strengen Regeln des biologischen Anbaus durchgeführt wird.
Es versteht sich von selbst, dass er sich wie alle ehrlichen Olivenölhersteller dazu bereit erklären müsste, auch die weiter oben aufgeführten Punkte zu respektieren. Erst wenn er nachweislich in der Lage ist, diese Voraussetzungen zu erfüllen, kann er sein Öl „aus biologischem Anbau“ nennen.“
„Danke vielmals für Ihre Ausführungen!“
„Gerne geschehen!“
Spätestens jetzt ist mir klar, dass die Frage „warum ist erstklassiges Olivenöl so teuer?“ falsch gestellt ist. Korrekter wäre „warum kostet erstklassiges Olivenöl so wenig?“
Es ist nicht logisch, aber obwohl wir wissen, dass unsere Oliven nicht nach den strengen Regeln der nativen Olivenöle extra oder der biologisch angebauten Olivenöle geerntet werden, sind wir trotzdem felsenfest davon überzeugt, dass es kein Öl gibt, das es mit dem Unsrigen wird aufnehmen können!
Photo credit cover photo: F.A. Cecchi, affresco Il Mito di Minerva, Villa di Forci, Pieve Santo Stefano, Lucca. Camera di Commercio, Lucca. Nel paesaggio del vino e dell’olio.
Ruth Recher
Ich habe viel gelernt und benutze Olivenöl mit viel mehr Respekt.
Agnese
Das freut mich zu lesen. -:)