Eine Olivenernte: Geschichte der Olive
2. Sonntag
Eine Woche ist vergangen und ich habe mich von den Strapazen des vorhergegangenen Sonntags erholt. So wenigstens schien es, aber wenn ich meinen Oberkörper nach vorne beuge, geht meine linke Hand automatisch zum Rücken und auf meinem Gesicht zeigt sich ein schmerzhafter Ausdruck der mich Lügen straft.
Die Wettervorhersage hat einen schönen Tag versprochen und ich komme früher als verabredet aufs „Feld“, um weiter bei der Ernte zu helfen. Ich kenne meine Aufgabe schon: die von den Bäumen gefallenen Oliven einsammeln, damit weitere Netze ausgelegt werden können. Grosse Landgüter oder Besitzer von Hainen mit Tausenden Olivenbäumen würden sie natürlich dort liegen lassen, wo sie sind. Wer aber, wie der Besitzer des „Feldes“, nur eine Hand voll Olivenbäume sein Eigen nennen kann und die Oliven nicht zusammen mit denen anderer kleiner Besitzer auspressen lassen will, um so wenigstens teilweise die Kosten der Ölmühle zu amortisieren, rechnet mit jeder einzelnen Olive, solange ihr Aussehen akzeptabel ist.
Ich sage es nur einziges Mal: kniend Oliven einzusammeln ist ein undankbarer Job. Er benötigt viel Zeit und Energie und bringt doch nur eine magere Ausbeute. Nach einem halben Tag emsigen Sammelns habe ich es lediglich auf einen halbvollen Korb gebracht. Es schien mir auch, als ob Alle irgendwie versuchten mir nicht zu nahe zu kommen. Ob sie Angst davor hatten, dass ich sie um Hilfe bitten könnte?
Mitte der Woche hatte ich eine Freundin getroffen, eine stolze Toskanerin wie die Pflücker im Olivenhain. Sie hat von meinem Vorhaben, an einer Olivenernte teilzunehmen gewusst. Natürlich war sie neugierig zu erfahren wie der erste Erntesonntag verlaufen ist. Nachdem ich ihr einen kurzen Bericht abgestattet hatte sagte sie zu mir: Hast du gewusst, dass der Olivenbaum uralt ist?“
Ja, ich hatte gelesen dass die Menschen schon lange vor Christus Geburt Oliven sammelten. Sie haben damals mit Hilfe primitiver, handbetriebener Mühlen Öl aus ihnen gepresst. Interessant ist auch, dass noch nicht eindeutig geklärt ist, wann man mit dem eigentlichen Anbau des Olivenbaumes begonnen hat. Ursprünglich stammt er vermutlich aus Kleinasien und mit dem Anbau wurde wahrscheinlich in Mesopotamien (dem heutigen Irak) und Südanatolien (der heutigen Türkei) begonnen. Die relativ schnelle Ausbreitung des Baumes in den restlichen Ländern des Mittelmeers, einschließlich Italiens, ist den Phöniziern und den Karthagern zu verdanken.
„Richtig!“ hatte meine Freundin geantwortet.
„Die steigende Nachfrage an Olivenöl hat wesentlich zur Entwicklung und dem Wohlstand der Küstengegenden beigetragen, wo es möglich war, den Baum anzubauen. Früher glaubte man übrigens, er könne nur innerhalb einer Entfernung von dreihundert Stadien vom Meer wachsen (ein Stadium entsprach etwa hundertachtzig Metern). In Ebla, einem der wichtigsten Zentren der Karawanen-Wege nach dem Orient tauschte man Stoffe, Bronzegegenstände und andere Waren gegen Wein und Olivenöl ein. Das begehrte Handelsobjekt wurde nicht nur als Lebensmittel verwendet, sondern auch zur Krankenpflege, während religiöser Feierlichkeiten und als Brennmaterial für Lampen. Die Ägypter legten Olivenzweige in die Pharaonengräber und stellten mit dem Öl Mittel für die Schönheits- und Körperpflege sowie Arzneien her“. Der Baum stellte für sie auch Fruchtbarkeit und Leben dar“.
Meine Freundin weiß genau, worüber sie spricht. Die Art und Weise, wie sie erzählt, verrät ihre Liebe für die Geschichte. Und für Olivenöl. Wie könnte es anders sein?
„Die ungewöhnliche Herstellung der Arzneimittel im alten Ägypten verrät und unterstreicht die starke Bindung zwischen ärztlicher Kunst und Zauberei. Nach Erstellung der Diagnose schrieb der Arzt mit Tinte eine Beschwörungsformel auf ein Stück Papyrus. Sie hatte den Zweck, den bösen Geist zu vertreiben, der für die Krankheit verantwortlich war. Dann tauchte er es so lange in Olivenöl, bis sich die Tinte völlig in ihm aufgelöst hatte. Am Ende gab der Arzt es dem Kranken zu trinken und beide hofften auf eine schnelle Heilung.
„Und was geschah in Griechenland und im alten Rom?“ Meine Freundin hatte mich neugierig gemacht.
„In Griechenland galt der Baum nach dem Sieg der Athene über Poseidon als heilig. Sieger sportlicher und musikalischer Wettkämpfe, die während der panathenischen Feiern ausgetragen wurden, erhielten als Trophäe die sogenannten panathenischen Amphoren. Es waren große, bauchige, zweihenklige Tonkrüge, mit schwarzen Figuren bemalt, die das kostbare Öl enthielten. Die Sieger konnten sie entweder aufbewahren oder zu hohen Preisen verkaufen, da die Amphoren sehr begehrt waren.
Der Baum spielte auch bei anderen Wettkämpfen eine große Rolle. Die Sieger der Olympischen Spiele, zum Beispiel, wurden mit einer Krone aus Olivenzweigen prämiert. Nach der Auszeichnung begrüßte sie eine applaudierende Menschenmenge, die sie mit Olivenblättern bewarfen. Es handelte sich um ein antikes, Glück bringenden Ritual, dem sogenannten Phyllobolìa oder Werfen der Blätter. Darauf begleitete man die Sieger in einer tanzenden Prozession bis zu einem Bankett, wo ihnen das Fleisch eines geopferten Stiers serviert wurde.
Im alten Rom galt der Olivenbaum als Zeichen für Frieden und Wohlstand. Es war üblich, anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahreswechsel zusammen mit den Wünschen für Reichtum und Glück Olivenzweige zu verschenken. Das Öl, das damals aus Südfrankreich, Spanien, Nordafrika, Palästina, Zypern und Griechenland importiert wurde, spielte als Volksnahrungsmittel eine entscheidende Rolle. Zusammen mit Getreide und getrocknetem Fisch verwandelte es sich schnell in eines der am meisten gehandelten Güter der damaligen Zeit.
Wenn wir vor zweitausend Jahren gelebt hätten wäre die Szene auf dem „Feld“ völlig anders gewesen. Zuerst einmal hätten wir die Oliven in verschiedenen Momenten geerntet, um oleum ex albis olivis, oleum viride, oleum maturum und, gegen Ernteende, das oleum caducum aus überreifen Oliven zu erhalten, Letzteres, zusammen mit den auf den Boden gefallenen verarbeitet, hätte als Nahrung für die Sklaven gedient. Es wären Leitern auf dem Feld gewesen, Tragkörbe und „Scheffel“ ein spezielles Maß, das man für Getreide und Oliven verwendete. Diese hätten wir mit den geernteten Oliven gefüllt. Sicher wären auch Flechtkörbe aus Hanf- oder Ginsterseilen herumgestanden. Zudem Eisentassen zum Schöpfen des Öls, Deckel um die Ölbehälter zu schließen, sowie große und kleine Schwämme. Außerdem spezielle Ölkrüge für einen sicheren Transport. Schlussendlich Flechtwerk, auf dem wir die Oliven ausgebreitet und gesäubert hätten. Jemand hätte schon vorher eine großzügige, für die verschiedenen Operationen unerlässliche Menge Brennholz gesammelt und aufgestapelt. Die Oliven wären bei schönem Wetter von Hand geerntet und dann zum Säubern und Verlesen auf Flechtwerk oder Strohmatten ausgebreitet worden. Ein Teil der Oliven wäre dann sofort zur Ölmühle transportiert worden. Die übrigen Oliven würde man direkt auf dem Feld in Salzlake eingelegt und so zu Delikatessen verwandelt haben. Sie hätte man bei wichtigen Anlässen serviert, wie uns ein Experte der damaligen Zeit erklärt:
„…bedecke den Boden eines Kruges mit getrocknetem Fenchel und fülle ihn mit Oliven, unter welche du Fenchel- und Mastixstrauchsamen gemischt hast. Wenn der Krug bis zum Rand gefüllt ist, gieße starke Salzlake darüber. Bedecke die Oliven mit einem Pfropfen aus Rohrblättern, damit sie völlig mit der Lake bedeckt bleiben. Dann gieße nochmals bis an den oberen Rand Flüssigkeit nach. Auf diese Weise zubereiteten Oliven sind so wie sie sind nicht zum Verzehr geeignet. Sie sind aber ausgezeichnet für alle Speisen, die man bei Festmahlen serviert. Man entnimmt dabei die benötigte Menge aus dem Krug, zerdrückt sie und macht sie so für die weitere Verarbeitung bereit. Meistens werden sie mit klein gewiegtem Lauch, Raute und Minze, sowie zartem Sellerie gemischt. Dann träufelt man ganz wenig mit Pfeffer angemachten Essig darüber und eine etwas größere Menge Honig oder Honigwein. Dann gießt man großzügig grünes Olivenöl dazu und bedeckt die Zubereitung mit einem Bund grünen Selleries“.
(Columella, De re rustica – Lib. XII, cap. XLIX, varie maniere di condire e conservare le olive verdi)
Es gibt allerdings noch einen anderen, grundlegenden Unterschied zwischen heute und früher. Während du aus freiem Willen an der Olivenernte teilnimmst, wurde sie vor zweitausend Jahren von Sklaven erledigt. Es waren die sogenannten medianti, die für die allgemeinen Arbeiten verantwortlich waren. Man verlangte von ihnen nur die Fähigkeit große Anstrengungen auszuhalten,. Während für das Hüten der Haustiere, das Dreschen des Getreides, der Weinlese und Kelterung Intelligenz und Geschick nötig waren, konnte die Olivenernte von einfachen Sklaven durchgeführt werden. Sie mussten nur jung sein, über biegsame Gelenke und kräftige Muskeln verfügten, sowie einer guten Sicht die es ihnen gestattet hätte, nicht zu viele Oliven zu übersehen. Alles Eigenschaften, die auch dir nicht zu fehlen scheinen…”
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